Über Veronika Gerber
von Elisabeth Wieser Schiestel
Die Arbeiten von Veronika Gerber lassen mich immer wieder an die
utopischen Ideen des Kulturphilosophen Herbert Marcuse denken. Demnach
lebt der Mesnch zwischen den beiden Prinzipien der Leistung
(Zivilisation) und der Lust (Eros). Diese beiden liegen, laut Marcuse,
in ständigem Widerstreit, und das Individuum habe sich laufend zwischen
den beiden zu entscheiden. Diese Entscheidung wiederum falle meist
zugunsten des Leistungsprinzips aus, wofür er die gesellschaftlichen
Strukturen unserer Gesellschaft verantwortlich macht. Das Lustprinzip
(Erotik, Sinnlichkeit, Lebensfreude) falle einem ständigen
Verdrängungsmechanismus zum Opfer. Aber, meint er, da gibt es eine
Kraft, die zum Lustprinzip gehört und sich der Unterdrückung verweigert:
Es ist die Phantasie. Er entwickelt in der Folge faszinierende Ideen
einer neuen Gesellschaftsform, die Bezug hat zu ästhetischen
Dimensionen. Ästhetik wiederum verbinde Lust und Sinnlichkeit
miteinander, und zwar aufgrund der Intuition.


Und hier ist der Punkt, wo ich wieder zu den Arbeiten von Veronika
Gerber zurückkehre. Dieser Geist und diese Kraft kommt mir aus ihren
Bildern entgegen. Sie spiegeln eine Lust am Malen, die absolut ist, hier
wird Ordnung zu Schönheit und Arbeit zu Spiel. Einfach und klar setzt
Veronika Gerber bei den Dingen des Alltags an. Das sind Orangen,
Zitronen, eine Katze oder eine Landschaft. Die Bilder besitzen eine hohe
meditative Qualität, der feine Blick der Künstlerin läßt all die
wohlbekannten Dinge erscheinen, als würden wir sie zum ersten Mal sehen.
Ich bewundere Veronikas Treue zu ihrem ureigensten Ausdruck. Durch das
Wiederholen derselben Motive bündeln sich Kraft und Intensität.


Veronika erzählte mir vom Werden ihrer Arbeiten, vom Beginn der
Stilleben im Atelier, von der Geburtsstunde der Landschaft in freier
Natur. Dort sitzt sie mit ihrem Skizzenblock. Diese Augenblicke sind
voll Sinnlichkeit: sie wird Teil der Landschaft, sie sieht, hört,
riecht, fühlt, und ich sage dazu, sie lebt. Bereits im Schauen reduziert
sie, komponiert sie, fügt sich ein inneres Bild, das über den Kohlestift
wieder nach außen kommt. Sie ist streng mit sich, es muß stimmen mit
Komposition und Farbe, sie mag keine halben Sachen. Ich schätze ihre
Wahrhaftigkeit. Übersetzt vom Skizzenblock in Eitempera und Öl auf das
eigentliche Format wird das Bild im Atelier. Wenn's gut läuft, entstehen
intensive Arbeitsphasen, sie taucht in eine andere Welt. Dort wartet die
Kraft, die Marcuse Phantasie nannte: lustvoll, autonom, eigenwillig und
frei.


Hat jedes Kunstwerk eine Botschaft? Für mich haben diese Bilder eine.
Sie heißt: schärfe deinen Blick für das Kleine und Feine, Alltägliche im
Leben. Hier sind Schönheiten verborgen, und ausschließlich hier spielt
sich das Leben ab. Lerne sehen, riechen, hören, fühlen. Gib Sinnlichkeit
und Lust am Dasein ihren gebührenden Platz.


Geben wir uns einem erweiterten Kunstbegriff hin. Kunst ist nicht allein
das Bild, das an der Wand hängt. Zur Kunst gehören ebenso die
Interaktionen, die entstehen zwischen Kunstobjekt und Betrachterin und
Betrachter. Denn vielfältig sind die Saiten in uns, die durch Veronikas
Kunst zum Klingen gebracht werden.

"an veronika"
an veronika


wenn pflanzen
aus bildern wachsen
das zitronengelb
den zitronengott
vom himmel abberuft
gefässe
die leere umschliessen
die die fülle ist
dann sind es
die bildzeichen
deiner seele
die im seelenraume schwingen


die vielfalt
der ströme
fassest du im augenblick
da der atem
atem holt
zu einem klang
gibst ihm
farbe
gestalt

stille

die melodie
der stille ists
die um deine bilder kreist
manchmal vor trauer
stumm geworden
dem wunden herzen
geboten
zu schweigen
manchmal
aus demut
die dinge leis berührt
manchmal
ins gleichmaß
eingetaucht
wo die ringe der wasser
auflösend sich begegnen
den blick


Sylvia Krismayr


Der Duft der ersten geschälten Orange
Schnee, mindestens einmal schon bis zur Waldgrenze herunter gekommen. Zeit für die alljährliche Herbstausstellung von Veronika Gerber hier beim Augustin.

Ihre Bilder behaupten sich in der verläßlichen Wiederkehr ihrer bekannten Motive,immer wieder in neuen Zusammenhänge gestellt, zu neuen Bildgedanken komponiert.

Citrusfrüchte in Schalen aufgehoben oder im freien farbraum unterwegs. Mimosengelb auf rotem Grund, das Gelb der Schafgarben unterbrochen von dunkelblauen Mohnschoten. Rosafarbenes Licht auf den morgendlichen Bergen um Arco, stille Häuser hinter einer weißen Mauer. Immer wieder die Beschwörung einfacher Schönheit, der jeder von uns begegnen und sie mit Veronikas Augen wahrnehmen kann.
Die Künstlerin lebt und malt aus einer inneren Gewißheit heraus. So wie ein Kind in Augenblicken, wo es sich selbst genügt, aus sich selbst heraus Freude am Leben, die in Veronika selber liegt und die scheinbar einfache Dinge kostbar erleben läßt.

Und die Bewältigung dunkler Zeiten, auch davon zeugen ihre Arbeiten. Da schafft die Malerin sich eine klare Sicht der Verhältnisse ihres inneren und äußeren Seins. "nach dem Regen" - ein hier ausgestelltes Ölbild: da hat sogar der aufsteigende Nebel eine konkrete Form. Wie ein weißer Vogel im Flug vor einer dunklen Berglandschaft.

Veronika Gerber hat den Willen, ihren Gedanken, ihren Bildern und ihrem Leben Form zu verleihen.

(Ausschnitt zur Vernissagerede von Jutta Katharina Kirschl)

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